In der Ecke stand ein  Aquarium. An die Wand hinter sich und die Decke warf es grünes Licht, in dem sich allerlei Formen wabernd, wandernd umtanzten. Die Pumpe pumpte. Wirbelte Wasser auf und malte Punkte und malte Linien an die Wand. Es war ein sehr großes Aquarium und kleine, leuchtende Fische tummelten sich darin. „Das Wasser ist es“, dachte ich, „und auch das Licht“, dachte ich weiter. „Beide sind etwas Grundlegendes, etwas Fundamentales. Beide sind rein und beide sind unnahbar und unbegreiflich. Und beider Abwesenheit bedeutet den Tod und beide sind Leben“.

Sie bügelte Wäsche auf einem Bügelbrett. Es stand in der Mitte des Raumes und sie stand dahinter. Das Bügeleisen zischte. Zog meinen Blick vom Aquarium weg und hin zum Bügeleisen, das über das Bügelbrett strich, auf dem sie bügelte. Das Bügeleisen dampfte. Meine Augen folgten dem Wasserdampf auf seinem Weg zur Decke, wo sie wieder vom Licht des Aquariums und seinen Projektionen eingefangen wurden. „Und beides sind Wellen“, dachte ich. „Und beides ist so wesentlich“, dachte ich weiter.Das musste es sein, was meine Faszination ausmachte.

Sie redete. Mit mir wohl. Zumindest waren wir beide die einzigen im Raum. Vielleicht telefonierte sie ja auch, ich wusste es nicht. Ihre Stimme war angenehm und es war schön, dass sie sprach und es war schön, dass ich nicht zuhörte. Doch bereits am Ende dieses Gedankens stand die schmerzhafte Einsicht, dass eben jenes Gefühl sich durch bloßes Denken, einzig durch sein Bewusstwerden, selbst zerstören würde.  Wie in einem Traum, in dem man sich jenes Traumes bewusst wird und dann aufwacht. Lauter und immer lauter wurde ihre Stimme. Schon verstand ich jäh erste Wortfetzen. Schon entwich ich dem grünen Licht und seinen Formen. Schon wurden meine Gedanken wieder statisch. Wurden angepasst. Fügten sich der Erfahrung. Reihten sich ein in eine Kette mühsam erlernter Abläufe und Überlegungen. Was sagt sie? Wie sagt sie es? Was meint sie? Wie schaut sie? Was soll ich antworten? Wie soll ich antworten? Was will ich sagen? Wie soll ich dabei schauen? Schon war ich wieder, wer ich meistens bin. „Der Job ist es“, sagte sie. „Und die Arbeitskollegen sind es auch“, redete sie weiter. „Der Job ist ein Scheiß-Job und die Arbeitskollegen sind Scheiß- Arbeitskollegen“.

Ich nickte ein wenig. Was sich nicht neu anfühlte, ich hatte es wohl die ganze Zeit über getan. Nur das Hochziehen der Augenbrauen fühlte sich etwas ungewohnt an. Ich hatte wohl länger die Augenbrauen nicht eingesetzt, was mich nicht zu verraten haben schien. Genauso der Mund. Als ich die Winkel ein Stück nach hinten zog, sah ich mich selbst eine halbe Ewigkeit hier auf der Couch sitzen und nur mit dem Kopf nicken. „Wie ein Papagei“, dachte ich. „Ob wohl die Papageien in ihren Käfigen auch nur nicken,um ihren Betrachtern, ihren Bewunderern geistige Anwesenheit vorzugaukeln?“, dachte ich dann. „Ja, der Job ist es“, plapperte ich ihr nach und nickte eifrig mit dem Köpfchen. „Und alle diese Leute, die irgendwas wollen und gar nicht wissen was, das muss dann ich für sie entscheiden, und warum wissen sie dann auch nicht, das muss auch ich ihnen sagen“, sagte sie mir. Sie legte ein Stück Gebügeltes beiseite. Legte es auf einen Stapel Gebügeltes. Nahm ein neues von einem Haufen und bügelte es. „Und am Ende weiß dann niemand mehr, wo wir sind und wer, und dass dann das ganze auch noch Geld kostet, versteh nicht mal ich, wo ich doch das Geld bekomme“. „Ja, das Geld“, sagte ich. Das war eine feine Sache. Ich konnte mir Stichwörter aus ihren Sätzen suchen, sie mit einem kleinen Wort, wie zum Beispiel „ja“ oder „stimmt“ oder „ach“ versehen und dann einfach wiederholen.

 

„Letzten Donnerstag  wollte so ein Typ doch tatsächlich …“, sagte sie und einer dieser   kleinen, schimmernden Fische tauchte ganz nah an der Scheibe des Aquariums auf. Er schien sich in kleinen Intervallen sehr schnell hin und her zu bewegen, so dass man eigentlich nur einen bunten, blau und rot leuchtenden Fleck erkennen konnte. „Es ist ein Paradies und ein Gefängnis zugleich“, dachte ich. Und weiter dachte ich,“ der Fisch lebt inmitten von Wasser und Licht und er lebt und er leuchtet blau und er leuchtet rot. Und er weiß nicht, dass er in einem Gefängnis lebt, also lebt er in keinem.““Was sagt man dazu?“, sagte sie und mir fielen immer mehr Fische auf. Die vielen kleinen blau- und rot leuchtenden zuerst. Dann orangene und solche mit schwarzen Flecken. Andere, manche groß, viele klein. Auch dunkle und einige, die gelb waren und mir golden erschienen, wenn sie knapp unter der Wasseroberfläche schwammen. Sie alle waren gefangen und wussten es nicht. Und keiner von ihnen war gefangen, nur in mir, nur für mich. Ich war gefangen. Ich sah sie an und sah ein Gefängnis. Sie sahen heraus und sahen mich und waren frei und wussten nicht, was ich wusste. Dass sie eingeschlossen waren, begrenzt von Glasscheiben unten, oben, rechts, links vorne und hinten. Und waren doch so glücklich und leuchteten blau und leuchteten rot und waren nur für mich gefangen. Nur innerhalb meiner Glasscheiben. Ich war gefangen, nicht sie. Sie waren nur Punkte, die leuchteten und mich ansahen und mich nicht begriffen, wie die Menschen die nachts in die Sterne schauen und sie nicht begreifen und sich doch, ob ihrer Unnahbarkeit, unendlich frei fühlen, und unendlich frei waren sie und ich war gefangen. „Was, wenn man ihnen sagen würde, dass es da Draußen noch viel mehr gibt. Meer und Flüsse. Seen und Tümpel. Teiche und Bäche. Sie wären gefangen“, dachte ich.“ Auf einmal wären sie gefangen. Auf einmal wären da diese großen Glasscheiben oben und unten, rechts und hinten und vorne und links. Und wabernd und wandernd würden weiter sich die Lichtprojektionen umtanzen und rot und auch blau würden immernoch die kleinen Fische leuchten und es wäre nicht das Gleiche. Es wäre kein bisschen das Gleiche. Niemand sollte  je den Fischen sagen, dass sie in einem Gefängnis leben“, dachte ich. „Und der es täte, wäre ein Lügner“, dachte ich weiter,  „weil die Fische nur gefangen sind, wenn sie wissen, dass sie gefangen sind. Da sie es aber nunmal nicht wissen, sind sie nicht gefangen und sind frei und sind leuchtend und sind Tänzer, nur ich weiß es, nur für mich alleine existiert ein Gefängnis, nicht für die Fische. Das Aquarium ist ein Gefängnis und es ist mein Gefängnis. Ich bin gefangen. Ausgeschlossen aus der Innenwelt. Eingeschlossen in der Außenwelt.
„Ich trat an den großen Glaskasten. Von fern drang ihre Stimme in mein Bewusstsein. War ein zaghaftes Klopfen an einem schweren Eisentor am Ende eines Waldes, am Anfang eines Gebirges, inmitten eines Sturmes. Doch ich war gefangen. Ich, der ich mir ein Gefängnis erdachte. Es für mich selbst erbaute. Mich ergab. Und das Wasser so angenehm kühl. So rein, so wesentlich, so faszinierend. Mir so nah. Ich fühlte es in meinen Händen.  Es benetzte unendlich zärtlich meine Haut und ich wollte darin versinken. Das Klopfen wurde energischer. Und obgleich zwischen ihm und mir ein Wald lag oder ein Gebirge und auch ein Sturm, vernahm ich seinen angenehmen Klang nun deutlicher. Und war gefangen. Und die Fische frei im Aquarium. Im Wasser, das so angenehm kühl war. Und im Licht, das das Leben ist. Im Licht, das nun hell schien auf das Wasser und mich, die Mauern dieser Zelle überwindend, um nicht länger ausgesperrt zu sein, da ich schwer war und leicht wurde, während das Klopfen an jenem fernen Tor ein Hämmern, eine Stimme wurde. Sie wollte mich halten, eilte herüber zu mir. Sie schaute entsetzt und sie schrie. Wegen mir vielleicht. Vielleicht auch wegen ihrem Job. Ich wusste es nicht. Zu klar war das Wasser, zu sanft war das Licht und beides umschloss mich und befreite mich und vor meinen Augen schimmerten Punkte von Rot und Blau und Orange und ich war in freiem Fall, ich war lebendig und ich war wesentlich, war golden, als ich knapp unter der Oberfläche tauchte, war leuchtend, war frei. Und konnte nicht atmen.